Tücken der Artenbenennung

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Nicht alle Tiere, die das Suffix "-saurus" (="Reptil") im Namen haben, sind auch tatsächlich Dinosaurier oder Reptilien. Nicht alle Tiere, die das Suffix "-suchus" im Namen tragen sind Krokodile, nicht alle Tiere mit dem Suffix "-aves" im Namen sind Vögel und nicht jedes Tier, das auf "-ichthys" endet, ist ein Fisch.

Die ersten, im Gelände vorgenommene Einordnung eines möglicherweise nur bruchstückhaft erhaltenen Fossils in ein bestimmtes Taxon oder ein bestimmtes Verhaltensmuster ist nicht immer richtig, und daher sind auch die vom Entdecker des Stücks gewählten Namen für eine neu entdeckte Spezies nicht unbedingt bezeichnend.

Besonders in der Frühphase der Paläontologischen Geschichte, als der Publikationsdruck groß und die zu erntende Anerkennung für einen neu entdeckten Dinosaurier oft verlockender war als wissenschaftliche Präzision, kamen Namen für Fossilien in Umlauf, die den Tieren von denen sie stammen nicht unbedingt gerecht werden.

Amphibien und Synapsiden (die gemeinsamen Vorfahren von Reptilien und Säugetieren) fallen durch ihre optische Ähnlichkeit zu Dinosauriern oft diesen Fehlbenennungen zum Opfer. In einigen Fällen werden Arten aber auch bewusst mit Verweisen auf andere Tiergruppen bezeichnet, um ein charakterisierendes Merkmal der Art hervorzuheben.

Einige Beispiele unbewusster Fehlbenennung

Sünder haben kurze Beine. Und viele Zähne!

Im Jahr 1726 gab es die Paläontologie als solche noch nicht, und Theorien über die Entwicklung des Lebens wie die von Charles Darwin lagen noch in ferner Zukunft. Die Bibel gab es hingegen schon, und entsprechend überrascht es nicht, dass das unvollständiges Skelett eines nahe Öhningen in Baden-Württemberg gefundenen Riesensalamanders vom Züricher Stadtarzt Johann Jakob Scheuchzer als Homo diluvii testis (= "Sintflut-bezeugender Mensch") bezeichnet wurde. Dass es sich bei dem 1 m langen, oligozänen Lurch definitiv nicht um einen menschlichen Sünder handelte, wurde bereits von zeitgenössischen Naturwissenschaftlern angesprochen. Nach etlichen Neuklassifizierungen und phylogenetischen Neueinordnungen wurde die Art 1837 unter dem Namen Andrias scheuchzeri (= "Scheuchzers Menschenbild") neu beschrieben.

Reptil, Amphib, egal! Hauptsache Fisch

Der Name Mastodonsaurus (="Zitzenzahnreptil") wurde von einem einzigen, 1828 entdeckten Zahn abgeleitet, bevor man wusste, dass es sich bei Mastodonsaurus um ein temnospondyles Amphib handelt.

Der Name Basilosaurus (="Königsreptil") bezeichnet einen frühen Zahnwal, der bei der Entdeckung im Jahr 1834 für einen außergewöhnlich großen Dinosaurier gehalten wurde. Das entdeckte Fossil war ein Stück Wirbelsäule und noch zu Lebzeiten des Entdeckers Richard Harlan wurde herausgefunden, dass es sich um den Überrest eines Säugetiers handelte. Der Naturwissenschaftler Sir Richard Owen schlug in diesem Zusammenhang vor, das Tier in "Zeuglodon" umzubenennen, scheiterte jedoch an den Regeln der zoologischen Nomenklatur, die ab diesem Zeitpunkt die Umbenennung einer bereits beschriebenen Gattung durch einen anderen Paläontologen nicht gestatten.

Der Synapsid Edaphosaurus (="Straßenpflasterreptil") wurde 1882 von Edward Drinker Cope entdeckt und aufgrund seines echsenhaften Körperbaus und seiner Pflasterstein-förmigen Mahlzähne entsprechend benannt. Das Taxon Synapsida wurde 21 Jahre später als solches definiert, um die Tiere darin von anderen permzeitlichen Reptilomorphen, aber auch bewusst von den modernen Reptilien und den Säugetieren abzugrenzen. Cope's Wettstreit mit dem Yale-Paläontologen Othniel Charles Marsh, der unter dem Namen "Die Knochenkriege" in die Geschichte einging, führte zur Entdeckung von über 85 prähistorischen Arten in nur 15 Jahren, entsprechend aber auch zu einer unpräzisen Benennung einiger Fossilien.

Was Vorurteile aus uns machen...

Oviraptor (="Eierräuber") wurde 1924 zum ersten Mal beschrieben, als Henry Fairfield Osborn in der Mongolei die Überreste eines theropoden Dinosauriers fand, die sich über ein Gelege aus mehreren Dinosauriereiern beugten. Die Eier in diesem Gelege waren, wie sich später herausstellte, das Gelege des Oviraptors selbst, der nicht beim Nestraub, sondern beim Versuch, seine ungeborene Brut zu schützen von einem Sandsturm verschüttet worden war.

Einige Beispiele bewusster Fehlbenennung

Im Zweifelsfall sind es immer Shrimps

Als 1892 das vollständige Fossil eines Anomalocaris (="ungewöhnliche Garnele") gefunden wurde, war dessen Familie, die Dinocarididen, bereits seit circa 380 Millionen Jahren ausgestorben. In Ermangelung rezenter Verwandter bezeichnete Joseph Frederick Whiteaves (ebenfalls kein Vogel) die Art als eine Garnele aufgrund der optischen Ähnlichkeit ihrer Rückenpanzer zum Körperbau eines modernen Krebstiers. Tatsächlich sind Anomalocaris und alle weiteren Dinocarididien etwa gleich nah mit den mikroskopischen Bärtierchen und den Lobopoden (Vorfahren der modernen Gliederfüßer) verwandt.

Ein rotes Tuch

Im Jahr 1985 wurde in Argentinien unter der Leitung des Paläontologen José Fernando Bonaparte das vollständige Skelett eines fleischfressenden Dinosauriers geborgen, das unter dem Namen Carnotaurus sastrei (="Fleischfressender Stier von Concho Sastre") öffentlich bekannt wurde. Der Name bezieht sich auf das Paar circa 15 Zentimeter langer Hörner über den Augen des Raubsauriers. Die Bezeichnung als "Stier" war keine Fehlidentifikation des Raubsauriers als Paarhufer, sondern lediglich ein Verweis auf seinen Kopfschmuck.

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Dieser Artikel wurde geschrieben und gegengelesen von:
Leonard von Ehr
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